Hintergründe zum «Museum der Zukunft»

Ausführliche Gedanken und Schilderungen zum KKLB Berlin/Museum der Zukunft

Das «Museum der Zukunft» oder die «KKLB Filiale Berlin» ist aus allen vorangegangenen Projekten und Erfahrungen hervorgegangen. Natürlich standen bei all diesen vorherigen Projekten immer existentielle Fragen im Zentrum und das meiste wurde radikal anders gemacht, als es bis dahin klassisch der Fall war – ganz einfach weil wir alles von Grund auf neu gedacht haben. Nun wollte ich aber noch einmal ganz von vorne beginnen und durch ein Weglassen von allem, was ablenken kann, zum Kern vordringen. Denn ich beobachte sehr oft die Situation, dass die wenigsten Menschen noch wissen, wieso sie überhaupt ein Museum besuchen, geschweige denn, dass eine künstlerische Arbeit, die sie sehen, einen Einfluss auf ihr Leben hat.
Also gehe ich nun aus Sicht des KKLB Beromünster noch einen Schritt weiter und lassen einmal alles weg. Wir lassen das Gebäude weg, wir lassen die Ausstellung weg, wir lassen den Künstler weg und auch das Kunstwerk. Wir gehen ganz einfach zusammen auf einen Spaziergang und es geht uns nur darum, während des Laufens etwas zu entdecken, was uns in irgendeiner Weise berührt oder zum Nachdenken anregt. Die Frage ist, was fällt mir auf? Was reizt mich? Was finde ich interessant?

Das spannende ist, dass dies mit wenig Aufwand jedem gelingt. Was wir entdecken, sind alles Dinge, die schon vorhanden sind. Vielleicht bin ich an dieser Stelle schon hunderte Male entlang gegangen, aber jetzt fällt mir da in dieser Mauer dieser Riss auf. Darin steckt ein kaputtes Feuerzeug und es wächst Löwenzahn. Und sehr spannend ist ja dann die Frage, wieso mir genau das auffällt und jemand anderem etwas ganz anderes. Es existieren ja unendlich viele Möglichkeiten, etwas auszuwählen. Ganz bestimmt hat das, was ich auswähle, etwas mit mir selber zu tun. Auf irgendeine Art und Weise steht es im Bezug zu mir. Deshalb nehme ich es wahr und deshalb wähle ich es aus.

Im nächsten Schritt ist es spannend herauszufinden, wieso das so ist. Es ist vielleicht nur ein Gefühl, eine Faszination oder ein Abstossen. Wenn ich nun versuche zu formulieren, wieso das so ist, habe ich über diese Entdeckung automatisch einen persönlichen Fortschritt erzielt. Sie hat mir dazu verholfen, mir über etwas bewusst zu werden. Ich habe vielleicht eine Seite von mir entdeckt, die ich noch nicht kannte. Zu Beginn sind dies vielleicht nur ganz einfache Feststellungen. Ich merke, dass mir die Kombination dieses orangen Feuerzeugs mit dem Grün des Löwenzahns sehr gut gefällt. Oder ich frage mich, wie das dort hingekommen ist. Mit der Zeit sind es vielleicht Gedanken wie: «Wie kann in einer Steinmauer überhaupt ein Löwenzahn wachsen? Da hat es zunächst Feuchtigkeit gegeben, dann ist etwas Moos entstanden, daraus wiederum mit der Zeit etwas Humus und irgendwann hat sich einen Samen hierhin verirrt. Heisst das, dass man mit einer Beharrlichkeit, wie die Natur sie hat, alles erreichen kann?» Oder merke ich plötzlich, dass ich mich entweder über das Feuerzeug als Abfall aufregen kann und es als Beispiel dafür nehmen kann, wie die ganze Welt vor die Hunde geht, oder mich genauso gut über dieses Glitzern des Plastiks in der Sonne freuen kann. Und ich erkenne dadurch, dass alles nur eine Frage der Perspektive ist.

Genau das, was ich jetzt so erlebt habe, könnte ich auch in einem Museum, vor einem Kunstwerk erleben. Kunst hat genau diese Fähigkeit, solche Gedanken zu ermöglichen und einem zu verändern. Nur sind wir sehr weit davon entfernt, dass dies oft genug geschieht. Es sind viel zu viele Dinge da, die mich davon ablenken. Vielleicht kommen mir die weissen Räume komisch vor, eine Aufsichtsperson steht unmotiviert an der Wand und beobachtet mich mit ernstem Blick und ich habe das Gefühl etwas falsch zu machen. Ich lese einen Text, der mir nichts sagt oder mir eben gerade sagt, was ich sehen sollte, aber ich sehe das beim besten Willen nicht so. Oder ich weiss, dass diese Skulptur für 141.3 Millionen gekauft wurde und ich frage mich, wie jemand für so etwas so viel Geld bezahlen kann. Oder ich staune darüber, wie man so schön malen kann. Nach einer halben Stunde bin ich müde und ich bin nicht ansatzweise zu einer Erkenntnis gekommen, die etwas mit meinem Leben zu tun hat.

So sind wir also auf unserem Spaziergang gerade zum Kern dessen vorgestossen, was Kunst aus meiner Erfahrung interessant macht. Und dies durch ein radikales Weglassen von allem, was sonst einfach so selbstverständlich «dazu gehört» und einfach immer weiter so gemacht wird, weil es immer so gemacht wurde. Und dieses «Weglassen» machen wir jetzt mal eine Weile so, erproben das und sammeln Erfahrungen. Diese gesammelten Erfahrungen und Erkenntnisse gebe ich laufend an das KKLB in Beromünster weiter. Und natürlich kriege ich Entsprechendes auch aus dem Betrieb in Beromünster zurück. In einer ständigen Zusammenarbeit entwickelt sich so das KKLB in Beromünster genauso weiter, wie das Projekt KKLB in Berlin.

Was sind Erkenntnisse aus der Arbeit am Museum der Zukunft?

Ich bezeichne das ganze Projekt als Forschungsarbeit. Natürlich bin ich noch mitten drin in diesem Prozess und das Projekt wird auch 2018 in Berlin und der Schweiz weiterlaufen. Einige Dinge kann man aber jetzt bereits feststellen. Z.B. ist «das Museum der Zukunft» sehr dynamisch. In einem «Museum der Zukunft» wollen wir aktuelle Themen behandeln und diskutieren. Wir wollen persönlich und als Gesellschaft weiterkommen. Denn es geht tatsächlich um viel und wir haben keine Zeit, uns mit Ausstellungen einfach die Zeit zu vertreiben oder uns nur zu unterhalten. Alte Meister in Ehren, die haben an anderen Orten auch ihren Platz, aber wir arbeiten mit sehr zeitgenössischen Positionen. Künstler arbeiten an Themen, an denen sie sich reiben. Jetzt. Also sollte möglichst wenig Zeit vergehen, bis sich auch ein Publikum über diese Arbeiten an einem Thema reiben kann. Mit dem «Museum der Zukunft» können wir sehr direkt auf alles reagieren, was uns beschäftigt.

Mein Einfluss von Berlin nach Beromünster ist nicht nur in der Theorie sondern auch in der alltäglichen Ausstellungsgestaltung und Vermittlung sichtbar. Wetz und das ganze Team verstehen es von meiner Arbeit zu profitieren. Viel mehr als früher steht heute der Prozess einer Ausstellungsentwicklung im Vordergrund. Termine für Ausstellungseröffnungen wurden gar gänzlich abgeschafft. Man gibt künstlerischen Arbeiten viel mehr Zeit sich im Haus weiter zu entwickeln. Oft auch verändern sich Werke mit ihrer Vermittlung. Alles wird weniger starr.

Was mir beispielsweise weiter auffällt ist, dass gewisse Plätze und Orte eine spannendere Auseinandersetzung bieten als andere. Ganz neue, aufgeräumte, sehr lineare Situationen bieten kaum Reibung und lassen die Menschen weitgehend unberührt. Es scheint so zu sein, dass es stärkere Reize braucht um unser Denken herauszufordern. Das KKLB in Beromünster zum Beispiel ist mit seinen ganz unterschiedlichen Räumen für die Kunst geeigneter als die White-Cube-Situation der klassischen Museen. Es ist genau wie beim Laufen auf der Strasse: Eine wunderschön neue, glatte Asphaltfläche, die jedes Hindernis zu einer fliessenden Bewegung macht, in jeden Zwischenraum harmonisch hinein fliesst und alle Abgründe ausfüllt, ist zwar eine angenehme Sache, ist aber auch total langweilig. Spannend wird es ja, wenn sich Risse zu bilden beginnen. Das ist wie ein Freiraum und es kann sich etwas entwickeln. Es fängt zum Beispiel etwas zu wachsen an. Das Leben bekommt wieder eine Möglichkeit sich zu entfalten. Oder der Asphalt wird zunehmend ein Flickenteppich. Man sieht verschiedene Arbeiten, die vorgenommen wurden. Das sind Geschichten, die sich abzeichnen. Das bietet Stoff an dem ich mich buchstäblich oder bildlich stossen kann und dies wiederum regt an.

Die spannenden Orte sind also vermutlich solche, an denen die Zeit und die Geschichte gearbeitet hat. Wo die Veränderungen des Wetters sichtbar werden. Wo etwas wächst. Wo Spuren von Tieren und Menschen sichtbar werden. Es werden die «Symptome des Lebens» sichtbar, anstelle der beschränkten Vorstellung wie sie eine geplanten Situation darstellt. Was ich damit meine, kann man sehr schön beobachten, wenn eine Situation neu gestaltet wird. Ein Haus wird neu gebaut, eine Verkehrssituation wird neu gemacht oder ein Einfamilienhausgarten wird gestaltet. Da wird ein Plan umgesetzt. Was bedeutet das? Die Vorstellung eines Menschen (oder mehrerer Menschen) werden aufgezeichnet, berechnet, umgesetzt und dann über Jahre so erhalten wie es geplant wurde. Was uns selten bewusst ist: das sind sehr beschränkte Denkleistungen. Unser Geist kann nur einen sehr kleinen Teil von dem erfassen, was das Leben insgesamt ausmacht. Und den Fehler, den wir heutzutage, und gerade in der Schweiz, sehr oft machen ist, diese geplante Situation für sehr gut zu halten und dies dann auch 1:1 und bis ins Detail umzusetzen. Jeder Quadratmeter wird fertig geplant, für jeden Flecken wird eine Lösung gefunden. Und dann betreiben wir einen riesigen Aufwand um diese, einem beschränkten Geist entsprungene Vorstellung, über Jahre zu erhalten. Alles wird regelmässig bis ins Detail von allen Spuren befreit und gereinigt, wenn etwas wächst wird es möglichst schnell abgetötet, und wenn sich Tiere einnisten, wird eine Lösung gefunden, dies zu verhindern. Die Rasenfläche vor dem Einfamilienhaus muss einen perfekten, grünen Rasen haben. Möglichst rein, wöchentlich geschnitten. Und irgendwann wird der Aufwand zu hoch, diesen Rasen so zu erhalten, wie er mal auf dem Plan ausgesehen hat (nämlich eine schöne, grüne Fläche). Und dann entfernt man den Humus, legt eine Folie aus und füllt das ganze mit Steinen. Dann hat man die Fläche endgültig im Griff und eine Steinwüste ist dann auch etwas, was sich nicht mehr verändert.

So funktioniert ein kreatives Leben aber überhaupt nicht. Deshalb ist es auch ein so grosser Aufwand, Dinge zu erhalten, wie sie einmal geplant waren. Das Leben verfügt über eine viel grössere Dynamik, über viel mehr Möglichkeiten und ist total unbeschränkt. Und Orte, an denen dies sichtbar wird, wo ich das ablesen kann, sind spannend. Sie verraten uns etwas darüber, wie das Leben funktioniert, was für Möglichkeiten es hat und welche Gesetzmässigkeiten und Funktionsweisen existieren. Der Ort bekommt eine Patina, einen Charakter, hat Geschichten zu erzählen. Und dies wiederum regt uns Menschen zum Denken, zum Überlegen an und bringt uns weiter. Im KKLB in Beromünster werden mit meinem Einfluss die Spinnennetze oft nur noch in Besucherdurchgängen entfernt. Einzelne Werke werden bewusst auf Hochglanz gepflegt, sofern das wichtig ist. Andere aber werden ganz gezielt den Einflüssen der Ausstellungszeit ausgesetzt.

Beim Sport ist das ja lustigerweise allen klar. Nur wenn ich an die Grenzen gehe, nur wenn ich dahin gehe wo mein Körper herausgefordert wird, nur dann entwickle ich mich weiter. Niemand käme auf die Idee, eine Sportart so zu gestalten, dass sich mir keine Widerstände bietet. Wenn ich nicht ausser Atem komme, wenn ich keinen Muskelkater habe, wenn ich mental nicht herausgefordert werde, dann ist es total bedeutungslos. Wir sind drauf und dran, uns eine völlig bedeutungslose Umwelt zu schaffen. Nichts stört, nichts riecht unangenehm, nichts ekelt uns an, nichts bietet uns Schwierigkeiten. Es ist alles sehr bequem. Und wir versprechen uns davon einen Fortschritt. Aber genau das Gegenteil ist der Fall. Wir werden nicht mehr gefordert, wir müssen uns keine neuen Lösungen überlegen. Wir müssen uns nicht behaupten und nicht durchsetzen. Und am Schluss langweilen wir uns zu Tode.

Wie läuft so ein Spaziergang konkret ab?

Ganz wichtig ist, dass man dies nie genau im Voraus sagen kann und auch nicht will. Jede Gruppe ist verschieden, an jedem Tag ist das Wetter anders, die Stimmung und die Themen, die einem beschäftigen. Das alles hat und soll einen Einfluss haben. Wir bewegen uns also nicht in einem künstlichen, geschützten und regulierten Umfeld.

Als erstes geht es darum, sich kurz kennenzulernen. Es gibt eine Einführung, was die Idee ist und worum es geht. Und natürlich, wo ich herkomme, was der Hintergrund ist. Ganz wichtig ist es das KKLB in Beromünster vorzustellen, welche Ideen wir dort bereits entwickelt und über Jahre erprobt haben. Und auch die Einflüsse, die von Berlin nach Beromünster gehen und umgekehrt. Dann geht man möglichst schnell los und sieht sich die Umgebung an. Ich führe das Prinzip vor: ich benenne etwas, was ich entdecke und erkläre es zu meinem Kunstwerk. Eine Methode ist Beispielsweise, eine Anschrift anzubringen. Ein kleiner, weisser Zettel, mein Name, ein Titel der Arbeit und ganz wichtig: Datum und Uhrzeit. Denn so ein Kunstwerk funktioniert sehr aus dem Moment heraus. Vielleicht gehört eine Spiegelung der Sonne dazu. Und die ist nur für ein paar Minuten da. Meine Lieblingsmethode ist die Fotografie. Die Fotografie erlaubt es eben, genau einen Moment festzuhalten. Und sie erlaubt es auch, eine ganz bestimmte Perspektive, einen Blickwinkel einzunehmen. Oder Dingen eine Ordnung zu geben. Auf einem Bild ist es viel einfacher, Dinge zu ordnen und zu gestalten. Und vor allem auch, jemand anderem zu zeigen, wie man es sieht und was man meint. Hat man so ein Kunstwerk geschaffen, versuchen wir zu formulieren, wieso genau diese Arbeit, dieser Ort, diese Gegenstände. Wieso fasziniert mich jetzt dieser leicht durchsichtige, rote Plastiksack, der die Abendsonne reflektiert und auf dem dunklen Asphalt ein so wunderbares Bild erzeugt. Und was verrät mir das möglicherweise über mich selber? Über meine Art die Welt zu sehen? Uns sehr schön: während ich darüber rede, kommt ein Windstoss und der Plastiksack fliegt weg. Ist das jetzt ein Grund zur Beunruhigung oder war das einfach für einen Moment sehr gut so und jetzt kommt etwas Neues? Ich entdecke etwas Neues, was auf den gerade gemachten Erfahrungen beruht und so geht das immer weiter. Hilfreich kann es auch sein, zur Unterstützung Dinge aus einer Stadt hinzuzunehmen, die dort bereits stattfinden. Eines meiner Lieblingsbeispiele war die Volksbühne in Berlin. Dort hatten wir beispielsweise mit René Pollesch einen Autor und Regisseur, der eigentlich etwas sehr Ähnliches auf das Theater bezogen macht. Er sagt, dass die klassische Abmachung im Theater zwischen Publikum und Bühne nicht mehr funktioniert. Die Abmachung war ja mal, dass man sich ins Theater setzen kann und so etwas über das Leben lernt, Schwierigkeiten behandelt und Probleme diskutiert werden. Persönliche, wie auch gesellschaftliche. Tatsächlich ist es aber so, dass wir uns 90 Minuten unterhalten lassen und an Schluss wieder raus gehen und es einfach «nett» war. Und so macht Pollesch, ganz nach Brecht, Lehrstücke. Die Schauspieler spielen beispielsweise nur, was sie auch wirklich selber erlebt haben, womit sie sich identifizieren können. Und da sehe ich viele Parallelen zum Museumsbetrieb. Wir wollen uns also nicht durch Ausstellungen einfach nur unterhalten lassen oder versuchen uns für ein Thema zu interessieren, dass uns ein Kurator vorsetzt, sondern wir wollen mit Themen arbeiten, die uns ganz persönlich interessieren. Wir wollen verändert aus einem Museum laufen.

Klassischen Museum sind Orte, an denen konserviert wird. Es erfordert ja einen riesigen Aufwand, dass die Räume immer schön weiss sind, alles perfekt daher kommt, die Ausstellung an der Eröffnung genau gleich erscheint, wie am letzten Tag und auch die Arbeiten über Jahrzehnte genau gleich ihre physische Präsenz behalten. Wenn wir auf diesen Spaziergängen aufmerksam sind, lernen wir etwas Anderes: Wenn man den Dingen seinen natürlichen Lauf lässt, dann bleibt nie etwas gleich. Alles verändert sich ständig. Man wird also vorallem auch mit ganz vielen Tatsachen konfrontiert. Man kann im «Museum der Zukunft» erkennen, «wie es ist», wie das Leben funktioniert.

Das «Museum der Zukunft» ist eigentlich eine Methode, das ganze Potenzial, welches um uns herum vorhanden ist, all die Informationen über uns selber und über die Funktionsweise des Lebens, zu nutzen.